21. 11. FILMGESPRÄCH: “BARBARA” (CH. PETZOLD, 2012)

 

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Lesen Sie zwei Kritiken zum Film unten. Unterstreiche Sie die Teile, wo der Film positiv und die Teile, wo der Film negativ beurteilt wird:
1.
Film “Barbara”Liebe in Zeiten des Misstrauens
Christian Petzold zeigte seinen Film “Barbara” auf der Berlinale. Nina Hoss glänzt als verschlossene Ärztin. Und doch berührt ihre Geschichte wenig.
Von W. Husmann
13. Februar 2012

Die Schauspieler Ronald Zehrfeld und Nina Hoss im Film “Barbara” von Regisseur Christian Petzold
Christian Petzold hat natürlich Recht: Die DDR war nicht nur grau und miefig. Es gab auch Licht, und es wehte – zumal am Meer – ein kräftiger frischer Wind. Berufstätige Frauen waren eine Selbstverständlichkeit, Liebe am Arbeitsplatz auch. “Im Westen verlieben sich die Leute immer in der Freizeit und im Urlaub”, flapste der Regisseur nach der Vorstellung seines Wettbewerbsbeitrags Barbara auf der Berlinale, “dabei gehört die Liebe in die Produktion!” Sein Club Med ist ein Provinzkrankenhaus in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 1980.
Dort trifft die Berliner Ärztin Barbara nach ihrer Zwangsversetzung ein. Sie hatte einen Ausreiseantrag gestellt, um zu ihrem Geliebten in den Westen zu kommen. Der Antrag wurde abgelehnt, ihre neue Stelle liegt in der Provinz. Dort warten schon zwei Männer auf sie: der Stasioffizier des Ortes und der Krankenhausleiter André. Der eine hat Anweisung, sie zu beschatten, der andere … tja, was will eigentlich der andere von ihr?
Nina Hoss hat ein bemerkenswertes Gesicht und man kann sich durchaus vorstellen, dass ein langer Blick in ihre riesigen Augen einem Mann genügen könnte, um sich in sie zu verlieben. Aber diesen einen Blick hätte es doch zumindest gebraucht. Stattdessen lächelt Ronald Zehrfeld als André bereits, als er vom Fenster aus beobachtet, wie Barbara ihren ersten Dienst antritt, als hätten sie die vergangene Nacht miteinander verbracht. An diesem Lächeln wird sich in den kommenden 100 Minuten wenig ändern.
Petzold, zweifelsohne einer der besten Regisseure, die Deutschland hat, und der uns Filme wie Yella , Die innere Sicherheit und Jerichow geschenkt hat, er wollte einen Film drehen über die Liebe in Zeiten des Misstrauens. Er wollte zeigen, mit welcher Kunstfertigkeit zwei Menschen, die sich zueinander hingezogen fühlen, aber nicht vertrauen dürfen, lernen zu kommunizieren. Das wenige, was Barbara und André miteinander sprechen, wirkt wie ein Code, bei dem hinter dem Gesagten immer noch eine zweite Botschaft steckt: “Ich habe ein ungutes Gefühl. Ich muss noch weitere Tests machen”, sagt André zu Barbara über einen jungen Patienten. “Antrag stellen” wirft sie ihm hin, als er von Den Haag und Rembrandt schwärmt. Den Rest müssen Blicke bewältigen.
Wachheit und Misstrauen in der DDR
Das ist den beiden Hauptdarstellern, beeindruckend vor allem Nina Hoss , gelungen. “In der DDR hat man sich genauer angeguckt,” erinnert sich Zehrfeld, der dort aufgewachsen ist. Gerade dieses Misstrauen habe auch eine Wachheit für das Gegenüber erzeugt. So schauen André und Barbara einander an, immer genau jenen winzigen Moment länger und intensiver, der zeigt, hier geht es um Misstrauen – oder um Liebe.
Weil Petzold sein Augenmerk ganz auf diese Liebe und schließlich auf die Entscheidung zu gehen oder zu bleiben gelegt hat, tilgte er in einem zweiten Schritt wieder alles allzu DDR-Augenfällige aus seinem Film. So gibt es keine Honeckerporträts an den Wänden des Krankenhauses, die dort sicher einmal hingegen. Nirgends sind ein Hammer und Zirkel oder ein Ährenkranz zu sehen. Das Land ist nicht grau und miefig.
Sinnlichkeit habe er damit in den Film bringen wollen, sagt Petzold. Denn nur wo Sinnlichkeit ist, können auch Gefühle wachsen. Möglicherweise sieht Andrés Wohnung darum aus, als hätte sie ein Inneneinrichter vom Prenzlauer Berg ausgestattet. Darum kann André sogar Ratatouille kochen und nicht nur einen Kessel Buntes. Und darum wachsen in seinem Gärtchen auch Rosmarin und Thymian.
Er habe die Liebesgeschichte aus ihrem unmittelbaren Kontext der DDR-Geschichte befreien wollen. Aber kann das gut gehen? Einerseits den Schauspielern Originalakten eines DDR-Krankenhauses aus den 1980er Jahren in die Hand geben, damit es so authentisch wie möglich wirken soll, und andererseits den Stasioffizier nicht mal den Weg bis zum Strand schaffen zu lassen, von dem aus Barbara die Flucht antreten will. Barbara wird von der Stasi durchsucht, ihre Wohnung und sie selbst, nackt. Aber das Geldbündel für die Flucht bewahrt sie dennoch weiterhin zu Hause auf. Ihr Fahrrad wird am unwegsamen Waldrand gefunden, aber sie kann unbehelligt eine Nacht im Interhotel in Berlin verbringen. Das Bestreben, eine möglichst authentische DDR zu schaffen und die Geschichte dann wieder von ihr zu befreien, schafft einiges an Unstimmigkeiten.
So kann sich der Zuschauer zwar am wunderbaren Minenspiel der Hoss freuen. Wirklich berühren kann uns ihre Geschichte nicht.
http://www.zeit.de/kultur/film/2012-02/berlinale-barbara-petzold

 

2.
Kein schöner Landschaft
Matthias Dell
07.03.2012 | 14:25 26
Kino Die Verwandlung der DDR in eine Christian-Petzold-Landschaft: Der Film “Barbara” mit Nina Hoss ist ein reflektiertes Melodram, das Liebe nicht gegen Politik ausspielt.
Ratatouille heißt das Zauberwort. Andre sagt es gegen Ende des Films zu Barbara, als er sie zum Essen zu sich einlädt, er sagt auch noch was von Auberginen, mit denen er Ratatouille machen will. Und der Zuschauer fragt sich umgehend, ob es das gegeben hat in der DDR 1980, Ratatouille und Auberginen.
Das ist eine Stelle in Christian Petzolds Film Barbara, von der aus man den gesamten Film verstehen kann. Einen Film, dessen historischer Rahmen den auf Zeitgeschichtsidentifizierung abonnierten Zuschauer an dieser Stelle fragen lässt, ob das stimmt, ob es das gab, dieses bunte Gemüsefremdwort in der DDR, die solange her ist, dass man nicht mehr weiß, ob die Vorstellung von Grauheit sich eigenen Erinnerungen verdankt oder all den Schwarzweißbildern, die man seither gesehen und von denen man gelesen hat. Die Filmkritik, die es gut meint mit Petzold und deshalb von Zeitgeschichtsidentifizierung nichts wissen will, geht darüber großzügig hinweg, und die Filmkritik, die es auch gut meint mit Petzold, aber streng ist bei der Zeitgeschichtsidentifizierung, lacht kurz und weiß es besser.
Womöglich gibt es aber noch einen dritten Weg, sich zu dieser Ratatouille zu verhalten. Nämlich sie für einen „Fehler“ zu nehmen, der bewusst gemacht wird, weil er all‘ die ganzen Gab-es-das-Fragen aufwirft. Und wenn man diesen Gab-es-das-Fragen folgt, etwa bis in Jutta Voigts Standardwerk Der Geschmack des Ostens von 2005, in dem von einem bürgerlichen Lebensentwurf die Rede ist, der auf Distinktion und Weltbezug auch am Essenstisch gesetzt hat, dann findet man zwar das Wort Ratatouille nicht, aber genügend andere Bezeichnungen, die man mit der erinnerten DDR jenseits des notorischen Ragout fin nicht verbinden würde. Und dann könnte man diesen Andre aus dem Film, der in der sich selbstversorgenden Provinz, in der er lebt, den Mangel mit Fantasie bekämpft – in der Klinik hat er sich ein Laboratorium eingerichtet, um Medikamente herzustellen, die er nicht bekommt –, dann könnte man diesen Andre und seine Ratatouille für möglich halten.
Sie separiert sich
Das wäre eine Geschichte, die einem der Film erzählt hätte, nicht eine, die im Besteckkasten der Zeitgeschichtsidentifizierung rumliegt und gegen das Licht der Projektion auf der Leinwand gehalten werden soll. Und spätestens hier würde man merken, dass es einen Punkt gibt, an dem es unerquicklich wird, als Detektiv ins Kino zu rennen und Gab-es-dies-gab-es-jenes-Memory zu spielen. Das ist die Botschaft der Ratatouille.
Und der Witz oder vielmehr die Qualität von Barbara besteht darin, dass einem der Christian-Petzold-Film nicht hilft, die DDR zu verstehen, sondern dass die DDR einem hilft, Christian-Petzold-Filme zu verstehen. Die DDR 1980, irgendein Provinzkrankenhaus, an das Barbara versetzt wird, weil sie sich durch einen Ausreiseantrag offen zu ihrer Dissidenz bekennt – das ist hier nur Material, ein Regelsystem, das den Raum definiert, in dem die Figuren sich bewegen können. Dem Geschichtsbuch muss der Film nichts beweisen.
Nina Hoss als Barbara bewegt sich sehr schweigsam, sehr vorsichtig durch diesen Film, sie wirkt distanziert, „separiert“, sagt der von Ronald Zehrfeld gespielte Andre ihr zu Beginn; ein Wort, das für einen lebenden Menschen etwas technisch klingt und Barbara gleich noch etwas weiter zurückzucken lässt, das aber zu Petzolds kühler Erzählweise passt. Nina Hoss hat schon in mehreren Filmen von Christian Petzold mitgespielt (Toter Mann, Wolfsburg, Yella, Jerichow); in Barbara versteht man ihre Einsamkeit am besten. Barbara verhält sich misstrauisch, weil ihre Umgebung sie überwacht (Rainer Bock als Stasi-Mann) und durchsucht; vor der muss sie ihre Gedanken und Fluchtpläne zum Geliebten im Westen (Mark Waschke) verstecken. Außerdem ist Barbara, wie sie sich in der Kantine an einen eigenen Tisch zum Essen setzt, stolz, hält sich für was Besseres: eine bürgerliche Frau aus dem großen Berlin.
Die Autonomie von Disco
Die Provinz erinnert an die Provinzen aus anderen Petzold-Filmen, in denen auch der Wind weht (Ton: Andreas Mücke-Niesytka) und die eigentlich märchenhaft sind. Barbara ist auch deshalb kein Film über die DDR, weil die DDR hier aussieht wie eine Christian-Petzold-Landschaft: weites Grün, karge Besiedlung und hinter dem tiefen Wald liegt das Meer. Diesen Naturraum kulturalisiert Petzold durch seine klugen, manchmal fast zu klugen Exkurse: den präzisen Einsatz einer Radioübertragung von den Olympischen Spielen in Moskau, einen Verweis auf Turgenjews Erzählung Der Kreisarzt, eine unglaublich anregende Interpretation Andres von Rembrandts Bild Die Anatomie des Dr. Tulp, so dass man in der anschließenden Nachfrage Andres an Barbara, ob das nicht zu schlaumeierisch daherkommt, den Regisseur und Drehbuchautor sein Publikum fragen sieht. Aber diese Anekdoten sind eigene Erzählungen, die neue Räume öffnen und sich nicht nur platt auf das wenden lassen, was man sowieso sieht.
Die schönste Referenz liefert der Abspann, zu dem nach einer harten Schwarzblende der schwermütig-hymnische Pop-Song At last I am free der Disco-Band Chic ertönt – ein Lied, das sein Ich verstecken muss vor der weißen, heterosexuellen Hörerschaft, eine ursprünglich schwule Form musikalischer Selbstverständigung (Disco) und eine afroamerikanische Geschichte (Freiheit).
Barbara ist ein Film, der Beziehung gesellschaftlich denkt. Eine Art reflektiertes Melodram, bei dem die Gefühle aus Angst vor falschen Koalitionen reduziert sind – auch wenn die Nina-Hoss-Figur die Erkenntnis über die Hölle der Hausfrau, die ihr Freund ihr nach der Flucht verspricht bei einer gemeinsamen Nacht im Interhotel, etwas stärker zeigen könnte als in einem Oberlippenbeben, ohne umgehend im Veronica-Ferres-Pathos zu landen. In Petzolds Film wird das private Glück nicht gegen die Zumutungen der Politik ausgespielt, vielmehr steht die Liebe hier in Verbindung mit gesellschaftlicher Verantwortung.
Man könnte auch sagen, Barbara ist ein Film, der die Frage nach der Freiheit des Einzelnen in Bezug auf unsere, westliche Gesellschaft verhandelt.
https://www.freitag.de/autoren/mdell/kein-schoner-landschaft